Starke Worte
Visionen, mission statements und Leitbilder haben Konjunktur… Wenn das beraterisch natürlich alles unterschiedliche Dinge sind, die präzise definiert sein mögen, so wird das in der Firmenrealität doch öfter durcheinandergeworfen, was ja vielleicht auch gar nicht so schlimm ist!? Wie viele Visionen braucht man denn nun aber tatsächlich? In meinem Unternehmen ist es inzwischen üblich, dass mindestens jede Abteilung so etwas hat oder haben sollte, was die eine oder andere Führungskraft ins Schwitzen bringt
Woher kommt der Wunsch „starke Worte“ zu Papier zu bringen und dann in die Welt oder zumindest die Mannschaft zu tragen? Zunächst kommt es wohl auf alle Fälle u.A. daher, dass das „von oben“ erwartet wird. Eine moderne Führungskraft muss visionär sein, soll ein "big picture" haben und das auch kommunizieren können. Wahrscheinlich prüfen auch Mitarbeiterbefragungen das deswegen ab. Und da setzt jetzt der Irrsinn ein: Visionen über Visionen...Welche Vision meinen die denn nun? Die oder die? Und passen die zueinander und überhaupt... Wie grenzen wir das ab? Ich bin desorientiert...
Aus meiner Sicht hat der Visions-Drang mehrere Gründe – Gute und weniger Gute. Beginne ich mit den guten Gründen: Menschen brauchen Orientierung. Der Eine etwas mehr, der Andere etwas weniger. Der eine ist schon orientierungslos, weil sich ein kleiner Prozess verändert oder eine zusätzliche Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, der Andere mag mehr Gestaltungsspielraum. Aber einen irgendwie gearteten Rahmen braucht letztlich doch jeder.
„Die Unwissenheit ist eine Situation, die den Menschen ebenso hermetisch abschließt wie ein Gefängnis.“(Simone de Beauvoire )
Ich habe genau das schon erlebt in meinem Umfeld: Menschen, die vor Sorge um die Zukunft oder wegen des Unwissens fast gelähmt waren und sich gedanklich nur noch im negativen Kreis drehten. Orientierung geben ist eine sehr wichtige Führungsaufgabe. Verunsicherung führt bei Menschen zu allem Möglichen... aber sicher nicht zu guter Leistung!
Aber in den berühmt-berüchtigten VUKA-Zeiten ist das gar nicht mal so leicht. Welcher Chef, egal welcher Ebene, kann wirklich vorhersehen, was die Zukunft bringt? Eine Lehman-Krise hatte keiner auf dem Schirm und wer weiß heute schon, was sich am nahen Horizont wirklich zusammenbraut…?
Zukunft und alle Aspekte, die daran hängen, sind vielschichtig. Aber das Mitnehmen von Menschen, das ist ein sehr Relevanter und gleichzeitig Schwieriger.
Eine gut durchdachte, gut formulierte Vision (Leitbild – was auch immer), das sind „starke Worte“. Sie sind nicht beliebig und setzen auf Themen, die zu den handelnden Akteuren passen, die berühren emotional, sie sind ankopplungsfähig, geben Richtung und Orientierung.
Wie oft lese ich aber Firmenvisionen, die ziemlich platt sind – schon allein deswegen, weil sie austauschbar sind, weil jede Firma genau diese Worte wählen könnte. Sie sind zwar irgendwie richtig, aber langweilig. Hier sind wir denn bei den eher weniger guten Gründen… Die Leitung oder die Kommunikationsabteilung machen eine Vision, weil man es eben so macht, noch besser: weil es ISO-schlagmichtot verlangt. Die hängt dann hochglänzend an allen Wänden.
Das sind dann keine „starken Worte“, das sind Worte mit der Gestaltungskraft einschlafender Füße. In meiner Wahrnehmung liest sich dann ungefähr so: Wir sind die Allerbesten, mit herausragend innovativ-qualitativen Produkten, von denen unsere Kunden begeistert sind… und unsere Mitarbeiter stehen natürlich im Mittelpunkt… AH!
Nicht sehr stark! Vermutlich deswegen, weil so viele Worte schon viel zu oft benutzt wurden und damit so beliebig werden. Bullshiit-Worte, Cointainerbegriffe… Sie tauchen deswegen auf, weil jemand nicht den Mut hat, sie entfallen zu lassen, und/ oder keine bessere Idee hat. Schade!
Worte können jedoch so stark sein. Das sind sie dann, wenn sie ernst gemeint sind, wenn diejenigen, die sie formulieren sich ernsthafte Gedanken gemacht haben. Wenn sie z.B. eine Sehnsucht ansprechen und wenn sie zumindest bei einem guten Teil der Adressaten so etwas erzeugen wie: wäre schon cool, wenn wir so wären, … das so machen würden.
Dann entsteht ein Impuls etwas anders zu machen und damit aktiv Zukunft zu gestalten.
Was Anderes als Worte könnten so etwas erreichen? Worte sind Kommunikation, Worte sind Führung, Worte können so stark sein – vor allem dann, wenn Worte und Handlung kongruent sind. Deswegen ist es wirklich wichtig, welche Worte wir in die Welt schicken und wir uns klar sind, welche Selbstverpflichtung damit eingehen. Meinen wir es wirklich so?