Füße lüften
Achtsamkeit hat Einzug in den Unternehmen gehalten. Für manche ein mächtiger Hebel, um in der immer volatileren Arbeitswelt innere Klarheit und Kraft zu behalten, für andere ist es ein nicht passendes Konzept. Auf alle Fälle braucht es Raum, im wahrsten Sinne des Wortes, und Raum ist ein begrenztes Gut, zumindest in vielen Unternehmen.
Mittags ist Meditationszeit in Honolulu. Eine Stunde lang ist der schöne, kreative Besprechungsraum geblockt, um denjenigen, die ihre Achtsamkeitspraxis ausüben möchten, den Raum zu bieten. Es sind keine Horden, die ihre Mittagspausen meditierend verbringen aber immerhin ein harter, stetig wachsender Kern. Honolulu ist begehrt.
Dass es selbst nach einigen Jahren immer noch nicht Normalität ist, das habe ich neulich erfahren. „Gehen die wieder Füße lüften!“ – war der leicht spöttische Kommentar eines Kollegen, als wieder mal eine kleine Gruppe im Raum verschwand. Mein spontanes Denken: Was fällt ihm ein, hat er es noch immer nicht verstanden… und ehrlich gesagt hatte ich noch andere, reflexhafte Gedanken im Kopf, die ich hier besser nicht aufschreibe.
Als Menschenentwicklerin weiß ich um die Herausforderungen, die Veränderungen mit sich bringen. Ich weiß aber auch, wie besonders anspruchsvoll eine professionelle Haltung ist, wenn es um ein eigenes Herzensanliegen geht. In diesem Fall um meines, Achtsamkeit in der Arbeitswelt zu etablieren und etwas „ganz Alltäglichem“ zu entwickeln. Grundsätzlich kann ich auch mit unseren Fortschritten sehr zufrieden sein. Der Kreis der Mitmacher wächst. Wir können auf viele tolle Ergebnisse und positive Resonanz blicken.
Ein kleines Beispiel: Gerade hatten wir Besuch von unserem Vorstand. Immer ein aufregendes, extrem gut vorbereitetes Ereignis. Ein Programmpunkt war ein skiplevel-Meeting, also ein Zusammenkommen mit einer Ebene von Führungskräften unterhalb der üblichen Meetingteilnehmer, eine Ebene „geskippt“. Und diese Gruppe hatte sich entschlossen, unseren Besuch zu einer kleinen Meditation am Anfang einzuladen. Mit großer Selbstverständlichkeit leitete ein junger Kollege das an - sehr, sehr schön, alle machten mit – ich war so stolz!
Aber offenbar reicht es mir all das nicht aus, um wirklich und in jeder Situation souverän zu sein.
„Füße lüften“, offenbar ein wunder Punkt bei mir. Werden meine eigenen 10 Minuten kritisch gesehen? Was mögen die Anderen denken? Und sofort geht das Affengeschnatter im Kopf los.
Cut! Pause!
Reiz – Reaktion. War der Ton wirklich spöttisch? Oder vielleicht doch freundlich, humorvoll? Genau genommen weiß ich es nicht. Aber in meiner Empörung war ich natürlich diejenige, die moralisch im Recht war.
Was für ein Quatsch! Es waren Worte, weder gut noch böse, nur in meinem Kopf entstand die Bewertung. Also wahrnehmen, Ruhebewahren und dann sogar mitlachen. Denn eines ist doch klar: Aufmerksamkeit ist da. Worüber gesprochen wird, das bekommt Bedeutung. Und das ist doch genau das, was ich erreichen möchte: Aufmerksamkeit, Auseinandersetzung und eine eigene Entscheidung. Ich habe meine getroffen.