Fremde Schuhe
Vermutlich kennen es zumindest alle Frauen unter Euch: Es war doch wirklich super, wenn wir als kleine Mädchen in Mamis „Hackenschuhen“ (so hießen die früher bei mir) durch die Wohnung wackeln konnten. Abgesehen davon, dass das natürlich todschick war, konnte man sich doch gleich viel erwachsener fühlen.
Dass es mit diesem „Fühlen“ mehr auf sich haben könnte, als nur die Kleinmädchenfantasie vom Erwachsen sein, das ist mir viel später aufgefallen: Viele Jahre danach, schon als Menschenentwicklerin unterwegs, habe ich auf einem Workshop eine Übung erlebt, die ich erst komisch, dann sehr spannend fand: In 2-er-Gruppen hatten wir die Aufgabe, dass der Eine hinter dem Anderen laufen sollte und zwar, in dem er alle Gang-Eigenarten versuchen sollte zu übernehmen. Ich bin seinerzeit hinter meinem Chef her gelaufen. Ein Mann, den ich sehr bewundert habe und auch im Rückblick immer noch bewundere; Weil er mit großer Konsequenz und Vehemenz für seine Ideale einer guten Führung und Zusammenarbeit eintrat. Egal, wem er dafür auf den Füßen stehen musste…. (und da sind sie wieder, die Füße!) Das war zu einer Zeit, als die allgemeine Meinung zu Produktionsarbeitern noch war: Gebt euer Hirn an der Wache ab, ihr seid hier, um zu Arbeiten, nicht um zu Denken. Für meinen Chef war das unerträglich.
Während ich nun minutenlang hinter ihm herlief, seinen Gang kopierte, da wurde mir so viel klar. Ich spürte seinen Druck, aber auch seinen unbändigen Antrieb. Ich konnte den Spagat, den er aushalten musste, richtig spüren. Für mich war das wirklich erhellend.
Was in dieser Übung passiert, ist das achtsame in-Verbindung-mit-jemandem-Anderen-gehen. Und das auf einer nicht kognitiven Ebene. Durch die Übung verändert sich etwas im Körper, das sich auf das Fühlen und dann auch – aber erst später – auf das Denken auswirkt. Embodiment heißt dieser Vorgang, „Verkörperung“… das heißt nichts Anderes, als dass sich die Wahrnehmung auch über den Körper vollzieht. Wirklich spannend!
Ich bin immer wieder schwer beeindruckt, welche wichtigen Informationen wir über unser Umfeld haben können, wenn wir mit allen Sinnen offen durch´s Leben gehen. Ist es nicht faszinierend, wieviel breiter unser Verhaltensspektrum wird, wenn wir uns empathisch mit anderen verbinden? Und „in deren Schuhen stehend“ feststellen, dass deren Verhalten absolut nachvollziehbar wird.
„Menschen verhalten sich in ihrer Innenperspektive sinnvoll!“. Auch wenn das manchmal schwer zu glauben scheint – über unfassbares Verhalten mancher Politiker lasse ich mich hier jetzt nicht aus – so bin ich der Meinung, dass diese Grundannahme sozusagen „as default“ sehr sinnvoll ist. Diese Grundeinstellung in Verbindung mit einer achtsamen und offenen Haltung der Welt gegenüber hilft. Sie beschützt zwar nicht vor Fehlern, aber hilft zumindest das eigene Fehlverhalten schneller zu erkennen und gegenzusteuern. Und es hilft deutlich positiver durch das Leben zu gehen, weil man nicht umgeben von Idioten ist.
Ich empfinde es als eine große Bereicherung wirklich in Verbindung mit meinem Umfeld zu sein. Das kann ich durchaus auch in meinen eigenen Schuhen.